Great Western Trail: Neuseeland | Expertenspiel | ab 12 Jahren | 1 bis 4 Spielende | Alexander Pfister | eggertspiele
Vorsicht Flachwitz: Was machen zwei wütende Schafe? Sie kriegen sich in die Wolle. Wie gut, dass es sich bei den Schafen, die wir in Richtung Wellington treiben, um gutmütige Rassen, wie Lincoln oder Corriedale handelt. Im dritten Teil der „Great Western Trail“-Reihe verlassen wir nämlich den Kontinent Amerika und finden uns plötzlich im idyllischen Neuseeland wieder.

Das Spiel
Great Western Trail: Neuseeland ist ein Expertenspiel von Alexander Pfister und bei eggertspiele erschienen. Es ist für 1-4 Spielende geeignet und kann ab 12 Jahren gespielt werden.
In „Great Western Trail“ habe ich meine Kühe durch den Wilden Westen nach Kansas City getrieben, quer durch die argentinische Pampa nach Buenos Aires – und nun mäht und blökt es auf dem Weg nach Wellington, der Hauptstadt Neuseelands. Ich muss vorneweg gestehen, dass ich einfach voraussetze, dass du dich mit dem Grundprinzip dieser Expertenspielreihe bereits auskennst. Ansonsten wird dir dieser Text wohl zum größten Teil unverständlich bleiben. Ich werde nämlich meine Aufmerksamkeit auf die neuen spielerischen Aspekte legen, welche die Neuseeland-Ausgabe mit sich bringt. Du musst also ein bisschen mitdenken und deine Erinnerungen auffrischen. Und ein paar spietypische Fachbegriffe setze ich dann auch noch voraus.
Thematisch sind wir uns im dritten Teil der Reihe im frühen 20. Jahrhundert angekommen und wir besitzen eine Schaffarm. Dementsprechend dürfen wir uns in „Great Western Trail: Neuseeland“ runholders nennen. Wir bei den Vorgängern auch, wollen wir in Neuseeland die meisten Punkte erspielen, indem wir unsere Schafherde mehrmals kreuz und quer durchs Land treiben und sie jedesmal am Schluss gewinnbringend für Pfund verkaufen. Abkürzungen auf unserem Weg über die Landkarte, wie es im Vorgänger „Argentinien“ gab, finden wir diesmal nicht. Wie im Grundspiel reisen wir mit unseren Aktionen also immer den ganzen Weg über Aktionsplättchen.

Dass wir nun mit Schafen unterwegs sind und unsere lukrativen Geschäfte machen wollen, habe ich bereits gesagt. Das läuft traditionell über das Handmamagement unserer Schafkarten. Aber hier stoßen wir gleich auf die erste Neuerung. Der gewohnte Mechanismus wurde deutlich mit Deckbuilding aufgepeppt. Statt Karten, die uns nerven und das eigene Deck verstopfen, dürfen wir nun mit einem Bonuskarten-Vorrat spielen. Um an diese Karten zu gelangen, gibt es die neue Währung Gold. Das findest du zwar nicht auf Schritt und Tritt, aber da läppert sich auf deiner Reise schon was zusammen. Die neuen Bonuskarten haben eins gemeinsam: Sie bringen uns Vorteile! Ab sofort will ich neue Karten in mein Deck bekommen, weil ich sie später ausspielen darf und sie mich dann unmittelbar belohnen. So viel gute Laune bei einer Partie „GWT“ hatte ich bisher noch nie!

Und der Reigen an Glücksmomenten geht weiter. War bisher das Geld immer zu knapp, können wir bei „GWT: Neuseeland“ schnell mal unser Bargeldkonto dadurch aufstocken, dass wir unsere Schafe scheren und die gewonnene Wolle verkaufen. Damit aber diese Aktion sich aber nicht nur wie eine Aufbesserung des Taschengelds anfühlen soll, brauchen wir Schafscherer im Arbeiterbereich unseres Spieltableaus. Die kommen vom Arbeitsmarkt, der auch ein bisschen überarbeitet wurde. Dort gibt es zudem die Schäferinnen, Handwerker und Seemänner, die wir im Verlauf des Spiels einstellen können. Und ja, du hast richtig gelesen, Seemänner, denn außer den Trail zu bereisen, wirst du auch auf einem Extra-Spielplan mit deinem Schiff neue Seewege erschließen um Häfen auszubauen. Dazu wandern kleine Häuschen vom eigenen Spieltableau auf den Seespielplan, wenn du es dir leisten kannst. Die Häfen bringen dir natürlich Siegpunkte, helfen dir aber auch dabei, deine schwarzen und weißen Scheiben vom Spieltableau sinnvoll loszuwerden. Die Kosten dafür hast du dir hoffentlich vorher durch deine verkaufte Wolle organisiert. Ach, ihr merkt, dieser zusätzliche Spielplan bringt so viel zusätzliche Taktik – und natürlich kleine Boote in den Spielfarben, mit denen wir die Gegend bereisen.

Deckbuilding, Zusatzeinnahmequellen, ein Wasserspielplan, eine neue Ressource – aber das reicht noch nicht an Neuheiten, die in „GWT: Neuseeland“ eingeflossen sind. Auch die neutralen Plättchen haben eine Überarbeitung erfahren. Vier davon werden im Verlauf einer Partie auf ihre Rückseite gelegt und verändern dann ihre Aktionen. Das hilft tatsächlich dabei, dass Aktionen, die am Anfang sehr wichtig sind, dann aber weniger Bedeutung haben, eine Aufwertung im Spiel erfahren. Der Zeitpunkt, zu dem die Plättchen gewendet werden, orientiert sich an einer weiteren Neuerung, den sogenannten Bonusplättchen. Die haben einen eigenen Markt, aus dem sie für teures Geld herausgekauft werden können, und regulieren auch gleichzeitig das Spielende. Gespielt wird gewohnt, bis der Spielendemarker nach unten gewandert ist, eben nicht mehr im Arbeitsmarkt, sondern im Bonusplättchenmarkt.

„GWT: Neuseeland“ schenkt uns auch noch eine Erkundungsleiste, auf der wir stets nach oben wandern wollen, denn dort warten attraktive Boni darauf von uns abgegriffen zu werden. Das ist erneut ein Moment der Belohnung in GWT, der sich auch genau so angenehm anfühlt. Insgesamt scheint es, als habe Designer Alexander Pfister sich zum Ziel gesetzt, sein ursprüngliches Spiel aus dem Jahr 2016 nicht nur optisch aufzuhübschen, sondern auch an den Ecken und Kanten zu arbeiten, die es hatte. Das alles ist meiner Meinung nach nicht nur mit viel Liebe passiert, sondern führt auch zu einem Spielerlebnis, das uns immer noch eine möglichst effiziente Planung abfordert, aber flexibler macht. Natürlich kann man gewohnt auf eine Kuh-, pardon Schafherden-Strategie spielen, den anderen immer aus dem Arbeitsmarkt die Schäferinnen klauen und dann den Viehmarkt plündern. Das alte „Great Western Trail“ steckt natürlich auch noch in dem Neuen. Ich behaupte aber auch, dass es sehr lukrativ sein kann, die Nase am Schluss über das Bauen eigener Gebäude vorne haben zu können, oder sich um den Ausbau der Häfen auf dem Seeplan zu kümmern.

Natürlich ist Zeit auch immer noch ein Faktor bei „GWT“. Kein Spiel aus der Reihe spielt sich mal schnell so runter. Deswegen finde ich auch die Angabe von 75 Minuten für eine Partie äußerst optimistisch. Wir spielen in der Regel mindestens zwei Stunden. Wegen der Fülle an Gelegenheiten, die man in seinem Zug ausüben kann, braucht es einfach ein Polster an Bedenkzeit. Die nutzt du am besten, wenn gerade die anderen am Zug sind. Und macht euch Platz auf dem Tisch, denn die Neuseeland-Ausgabe ist ein Platzmonster. Hauptspielplan, Seewegplan, eigenes Spieltableau, Deckbuilding-Auslage, Schafmarkt – das braucht Raum!
Fazit
„Great Western Trail“ ist als Spiel maßgeblich verantwortlich, dass ich mich in die Welt der Expertenspiele gewagt hatte. Seitdem habe ich immer ein Auge darauf wenn aus der Reihe ein neuer Titel erscheint. Die zweite Ausgabe des Grundspiels hatte ich eher argwöhnisch beäugt. Die darauffolgende Argentinien-Ausgabe in der neuen Optik hat mir aber schon sehr gut gefallen, weil sie mit den Abkürzungen und den Säcken völlig neue Spielkonzepte einarbeitete. Und nun habe ich mein Herz an Neuseeland verloren. Da ist einfach alles so rund und angenehm belohnend, dass dieser Teil für mich den bisherigen Höhepunkt der Reihe darstellt.
Die Erkundungsleiste weckt schon allein mit ihrem Namen Abenteuerlust, der Seeplan will, nein MUSS befahren werden, liegen doch dort so viele Punkte und Gelegenheiten, die ich abgreifen kann. Die Bonusplättchen bringen mir Chancen, die ich einfach nicht liegen lassen kann, und das Leerräumen des eigenen Spieltableaus war schon immer der Weg eine individuelle Taktik zu entwickeln. Ja, Neuseeland, ich will!
Zum generationenübergreifenden Spielen eignet sich keiner der GWT-Teile. Da sind zu viele Regeln, zu viele Details, zu kleine Symbole. Das Spiel richtet sich aber auch an eine ganz andere Zielgruppe. Die Altersangabe von 12 Jahren auf der Schachtel legt nah, dass ich auch mit Kindern in der 6. oder 7. Klasse gemeinsam Spielfreude haben kann. Ich stimme in dem Aspekt zu, dass ein Kind sicher „GWT“ spielen kann, würde aber noch ein paar Jährchen zuwarten. Die spielerische Exzellenz der Reihe entpuppt sich meiner Meinung nach erst, wenn du die strategischen und taktischen Möglichkeiten in ihrer Vielfalt auch kognitiv erfassen und umsetzen kannst.
Wenn Menschen in eurem Umfeld anmerken, dass es doch seltsam sei, wenn man von einem thematischen Spiel nun 3 verschiedenen Ausgaben besitze, müsst ihr ihnen wohl Recht geben. Dann seid ihr eben seltsam. Das ist ja in unserer Welt der Brettspiele, in der wir stundenlang gebannt auf einen bunten Karton starren, eher eine Auszeichnung, oder? Kennt ihr noch kein Spiel aus der GWT-Reihe, würde ich euch gerne den direkten Weg zu „Great Western Trail: Neuseeland“ ebnen. Da bekommt ihr den Spielspaß des Grundspiels mit den beschriebenen Wohlfühlfaktoren, die das Spielerlebnis rund und belohnend machen.
Bewertung / Test
+ überarbeites Grundspiel
+ viele neue Mechaniken
+ Deckbuilding jetzt aufgewertet
(Eine Rezension von Oli Clemens)
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Die folgende Bewertung erfolgt innerhalb der Kategorie:
“Kenner- und Expertenspiele”
Great Western Trail: Neuseeland (2023)
Spielidee: Alexande Pfister
Grafik: Chris Quilliams
Verlag: eggertspiele (Vertrieb Asmodee)
Anzahl der Spielenden: 1-4 Personen
Altersempfehlung Verlag: Ab 12 Jahren
Eigene Altersempfehlung: Lass dir ein bisschen mehr Zeit, bis du dich auf die herausfordernden Great Western Trails wagst.
Spieldauer: 75 Minuten sagt der Verlag – das klappt aber nie!
Generationentauglichkeit: Nicht geeignet, nicht gewollt.