Da kocht das Gehirn – Rise von dlp games (Rezension)

Rise | Kennerspiel | Remo Conzadori, Marco Pranzo | 2-3 Spielende | 60 Minuten | ab 10 Jahren | dlp games

Spielbox mit Rückseite von Rise

„Willst du mal richtig viel denken?“ – „Meinst du denken im Sinn von Spaß an komplexen Problemlösungen oder eher so Excelformulare zum Nachtisch?“ – „Nee, ersteres.“ – „Ja, um was geht’s? Klimakrise lösen? Weltfrieden schaffen?“ – „Ja, ähnlich, aber doch befriedigender, weil mit Happy End. Komm, spielen wir ‚Rise‘.“ Dieses Gespräch war der Beginn einer Hassliebe zu dem eigentlich wunderbaren komplexen Kennerspiel „Rise“ aus dem dlp-Verlag.

Spielaufbau für 4 Spielende von Rise

In „Rise“ sind wir Verantwortliche für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt. Wir haben fast unbegrenzte Möglichkeiten, ob Kultur, Politik, Wissenschaft, überall können wir unsere Hebel ansetzen, und immer ein Auge auf die Natur und die Zufriedenheit der Bevölkerung werfen. Auf zehn – ja genau: zehn – verschiedenen Leisten rücken wir unsere Marker nach vorne und verbessern uns auf diesem Gebiet. UND! Und gleichzeitig verändern wir auch auf anderen Leisten unsere Werte. Denn irgendwie hängt jedes Feld mit einer oder mehreren Leisten zusammen.

Bewegen wir uns auf Leiste X, kommen wir auf ein Feld und lösen damit Leiste Y aus. Hier aber bewegen wir unseren Marker auf ein Feld, das uns auf Leiste Z ziehen lässt. Ja, so entstehen Kettenzüge, die kaum überschaubar sind. Vor allem, wenn wir auf der ersten Leiste zwei oder drei Schritte machen dürfen, nach dem ersten Schritt aber sofort die Auswirkungen auf der anderen Leiste ziehen müssen, und hier wiederum eine dritte Leiste ziehen, dann zurück zu ersten und den nächsten Zug machen. War das jetzt erst der zweite Zug oder schon der dritte? Und habe ich auf der Leiste zwei schon beide Schritte gemacht?

Das sind die wahren Herausforderungen. Ich kann kaum kontrollieren, auf welcher Leiste ich wie oft gezogen habe in meinem Zug und ob ich alle ausgelösten anderen Leisten gezogen habe. Jetzt soll ich aber, um meinen besten Zug zu finden, das alles für verschiedene Züge durchdenken, bevor ich mich entscheide. Grundgütiger!

10 Leisten in Rise

Dabei ist es so faszinierend. Und so herausfordernd. Zu Beginn der 12 Züge werden Karten ausgelegt. Das sind vier Aktionskarten, die eine oder zwei Leisten auslösen, dazwischen liegen Ereigniskarten, positive und negative. Ich entscheide mich, auf welche Aktionskarte ich meinen Aktionsstein setze. Dann wird von Vorne angefangen alles abgearbeitet. Wird eine Ereigniskarte abgearbeitet und mein Aktionsstein ist noch im Spiel, trifft mich dieses Ereignis. Wurde aber vorher die Aktionskarte ausgelöst, kommt mein Stein zurück und die Ereignisse treffen mich nicht.

Auswahl der Aktionen pro Runde in Rise

Das ist ein großartiger Spielmechanismus, der mich Runde für Runde vor knifflige Aufgaben stellt. Wunderbar gelöst. Was ebenso wunderbar ist, dass sich meine Markierungssteine auf den Leisten geradezu magisch immer weiter nach vorne schieben und bessere Aktionen auslösen. Ich spüre, wie mein Einfluss auf die Stadt immer besser wird. Ich erlebe im Spiel dieses Aufblühen der Stadt. Und ich freue mich über Kettenreaktionen, die mich auf drei oder vier Leisten nach vorne bringen mit nur einem minimalen Einsatz. Wunderbar.

Detail der Naturleiste in Rise

Und dann muss ich nachdenken, welche der vier Aktionskarten ich auswähle. Denn diese erlaubt mir die Bewegung auf dieser Leiste, verbunden mit dieser Leiste und dieser, die andere Aktion aber erlaubt mir Bewegungen auf dieser Leiste und damit Aktionen auf dieser und dieser …

… und wenn ich nicht gestorben bin, denke ich immer noch an aktivierte Leisten die Leisten aktivieren, die Leisten aktivieren.

Einige Spielkarten aus Rise

Die Ausstattung von „Rise“ ist großartig, die Grafik einladend, die Symbolik sehr spielunterstützend. Die Regeln sind umfangreich – jede Leiste will speziell erklärt werden – und jedes Plättchen mit jeweils einer Leiste hat eine etwas anspruchsvollere Rückseite mit noch einer etwas anspruchsvolleren Leiste. Einmal im Spiel läuft es eigentlich sehr flüssig, denn die Aktionen sind schnell klar und der Ablauf schnell verinnerlicht. Aber das Drüber-Nachdenken – das hat es in sich.

Und gerade die letzten Züge, bei denen man auf der ersten Leiste bis zu drei Felder ziehen kann, können sich so komplexe/komplizierte und nicht mehr kontrollierbare Kettenreaktionen bilden, das man entweder spontan irgendwas macht oder die anderen Mitspielenden in einen Kurzurlaub schickt, um wirklich den optimalen Zug zu erdenken. Schade, denn dadurch verliert das Spiel viel von seiner Strahlkraft, und was vorher so beeindruckend war, wird jetzt eher abschreckend.

Material von Rise

 

Fazit
„Rise“ ist ein faszinierendes Spiel, weil sich der Einfluss auf die Stadt spüren lässt, weil man sieht und erlebt, wie man mehr und mehr Einfluss nimmt. Das ist ein wunderbares Spielgefühl, etwas zu erschaffen. Dass alle Felder auf den Leisten mit anderen Leisten oder Aktionen verknüpft sind, macht zum einen ein wunderbares Spielerlebnis, weil sich das Spiel vor einem entwickelt, zum anderen macht es Kopfzerbrechen, denn ich muss entscheiden, welche der vier Aktionen (oder der dazugehörigen besseren Aktion) ich auswähle.

„Rise“ ist ein komplexes Spiel, das Spielerfahrung braucht, aber mit wunderbaren Erlebnissen belohnt. Für Denker ein Paradies, für Aus-dem-Bauch-raus-Spielende wohl eher ein Zahnrädchengewirr: Dreht man an einem, bewegen sich irgendwie gefühlt alle anderen auch.

Spielsituation in Rise

 

Bewertung / Test
+ sehr schöne Ausstattung
+ viel Spielvarianz durch zehn zweiseitige Leisten, die kombinierbar sind
+ Aktionsauswahl ein echtes kniffliges Highlight
+ perfektes Spielgefühl und Spielerlebnis, wenn die Stadt sich entwickelt
– denklastig
– unübersichtlich bei Kettenzügen
– ein ständiger Kampf gegen die unzufriedene Bevölkerung

 

 

(Eine Rezension von Gerhard Hany)

Wichtige Informationen zu unseren Rezensionen (KLICK)

ACHTUNG – hier geht es zu unserem YouTube-Kanal:
Spielecafé der Generationen – Jung und Alt Spielt – YouTube

Die folgende Bewertung erfolgt innerhalb der Kategorie:
“Kenner- und Expertenspiele“

  • ... Altersgruppe 10 bis 12 Jahre
  • ... Altersgruppe 13 bis 49 Jahre
  • ... Altersgruppe 50 bis 75 Jahre

Rise (2022)

Spielidee: Remo Conzadori, Marco Pranzo
Grafik: Christian Opperer
Verlag: dlp games
Spieler:innenanzahl: 2-4 Spielende
Altersempfehlung Verlag: Ab 10 Jahren
Eigene Altersempfehlung: Ab 12 Jahren
Spieldauer: 60 Minuten

Generationentauglich: Marker auf den Leisten bewegen ist feinmotorisch anspruchsvoll, daher nur bedingt geeignet.