Früher war alles anders. Da kam im Frühjahr eher die leichte Spielekost auf den Markt, die mehr komplexen Kracher waren für den Herbst (Messezeit) reserviert. Früher konnte man Spiele von Ersttätern (Spieleerfinder mit ihrem ersten Werk) an kleinen Ungereimtheiten und Designfehlern erkennen und konnte sich auf den Reifungsprozess der Erfinder mit ihrem zweiten Spiel freuen. Und früher konnte man sich auf die Qualität von Spielen aus dem Hans im Glück Verlag verlassen.
Naja, wenigstens das letzte stimmt immer noch zu hundert Prozent. Denn was uns da der Münchner Verlag im Frühjahr von Neulingen ins Osternest legt, ist ein Kracher für fortgeschrittene Spieler. Und was für einer!
„Race to the New Found Land“ ist – trotz des englischen Titels – ein deutschsprachiges Spiel, das uns ein paar Jahrhunderte zurückversetzt in die Zeit, als Gouverneure mit ihren Segelschiffflotten gen Westen aufbrachen, um mit den neu entdeckten Ländern jenseits des Atlantiks lukrativen Handel zu betreiben, wertvolle Rohstoffe nach Europa zu bringen und diese gewinnbringend in den Metropolen zu Geld zu machen.
Ich starte mit meinem Spielplan und einem kleinen Schiff auf die Reise, die mir am Ende die meisten Siegpunkte bringen soll. Meinen Spielplan kann ich erweitern und ich kann mir Schiffe – auch die zwar teureren aber besseren großen – kaufen, wenn ich denn Werften dafür habe.
Dann beginnt die Planungsphase von einer der vier Spielrunden. Ich kann mein Schiff einsetzen zum Beladen, Siedeln, Liefern oder Entdecken. Auf manchen Feldern kann ich mehrere Schiffe einsetzen. Dabei kommt es auf die Eignung des Schiffes an, sprich auf die entsprechenden Icons. Kisten auf dem Schiff brauche ich zum Beladen und Liefern, Fernrohre zum Entdecken, Siedler zum … genau, siedeln.
Wenn alle Spieler Aktion für Aktion ihre Schiffe verplant haben, erfolgt die Aktionsphase, in der der Reihe nach die Schiffe nun ihre geplante Aktion durchführen.
Das heißt beim „Beladen“ erhalte ich Waren und die so wichtigen 1x-Karten. Dadurch erhalte ich zusätzliche Waren, Siegpunkte oder Schiffe, die ich einmalig mit meiner Flotte einsetzen kann. Beim „Siedeln“ setze ich einen Marker von mir auf eine der bereits entdeckten Inselplättchen und sichere mir damit die dort vorhandenen Rohstoffe. „Liefern“ lässt mich Rohstoffe an Metropolen liefern, dort zeigen mir bestimmte Aufträge, was gerade gewünscht wird. Belohnt werde ich mit teils dicken Punkten. Beim „Entdecken“ darf ich neue Inselplättchen auf Inseln legen, mir gleich mal die angebotenen Rohstoffe sichern und anschließend sind die Inselplättchen frei zum Besiedeln.
Ist die Aktionsphase durch, kann man noch Zielkarten erfüllen und schon beginnt die neue Runde.
Ja, es klingt irgendwie bekannt. Und was macht das alles zu einem „Race“, zu einem Rennen? Es ist kein Wettrennen, wer zuerst bei der Insel New Found Land ist (der Titel ist da sehr irreführend – überhaupt, warum denn ein englischer Titel?)
Mit Rennen ist etwas anderes gemeint. Und das ist der geniale Kniff in diesem Spiel. Das Rennen auf der Siegpunktleiste ist ein echter Hit. Dort fahren kleine Schiffe (unsere Punktemarker) entlang der Siegpunkte und bei bestimmten Feldern liegen Rahmenmarker (fünf verschiedene). Erreicht oder überfährt man einen solchen Marker, erhält man entsprechend dem Rahmen den dafür vorgesehenen Kartenstapel, sucht sich eine Karte aus und legt die anderen für die nachfolgenden Spieler wieder zurück. Dann wird der Marker auf der Leiste um bis zu drei Felder zurückbewegt. So kommen die „langsameren“ Spieler schneller zu diesen Karten. Toll gelöst, weil der Bonus des Führenden früher ausgeglichen werden kann.
Man erhält meist Zielkarten, die einem beim Erfüllen dicke Punkte bringen. Einmal gibt es einen Schiffskapitän, der einem im weiteren Spielverlauf einen Bonus verleiht, und einmal gibt es Rohstoffe. Und das ist das „Race“, das Rennen im Spiel. Denn wer zuerst kommt, nimmt sich die besseren Karten. Spielentscheidend ist das nicht, aber so ganz ohne auch wieder nicht.
FAZIT
Ein geniales Spiel. Fortgeschrittene Spieler werden ihre Freude daran haben. Kids ab 10 sollten Spielerfahrung mitbringen, ab 12 gut spielbar. Der Mechanismus mit dem Planen klingt zuerst etwas mühsam. Warum plane ich nicht die ganzen vier Aktionen auf einmal? Weil ich mich ein bisschen auch an den Mitspielern orientieren kann oder muss. Weil ich sehe, was die planen und mit wievielen Segeln sie unterwegs sind (denn die Segeln bestimmen pro Aktionsphase auch die Reihenfolge – kann beim Liefern entscheidend sein). Also setz ich lieber noch ein Schiff mit vielen Segeln dazu, dann kann ich vor meiner lieben Konkurrenz den Auftrag erfüllen. Dieses Planen für jeden einzelnen Schritt und dann die Ausführung ist ein taktischer Leckerbissen.
Es spielt sich sehr flott, es gibt kaum Wartezeit (denn wenn zu Beginn der Planungsphase überlegt wird, hat jeder etwas zu tun. Die nächsten Schritte sind dann schnell gespielt.
Die Zeit ist mit 60 Minuten sportlich angegeben, 75 – 90 sind eher wahrscheinlich (der Aufbau kostet ein paar Minuten), vergehen aber im Flug und man wird glänzend unterhalten.
Ein Wort zum Material: Perfekt. Die Grafiken sind übersichtlich, klar strukturiert, man findet sich schnell zurecht. Das Material ist in gewohnt sehr guter Qualität, naja, die einzelnen Spielerpläne hätten auch stabiler Karton sein können. O schön, da hab ich doch noch etwas gefunden, was die beiden Neulinge Kallenborn und Scherer bei ihrem zweiten Spiel dann verbessern können 😉 Ansonsten ein dickes Kompliment an die Zwei, als Erstlingswerk einen solchen Hammer rauszuhauen, toll.
Was besonders auffällt ist, dass das Spiel sehr fein ausbalanciert ist. Die 1x-Karten scheinen stark zu sein, die gibts aber nur mit der etwas schwächeren Aktion „Beladen“. „Siedeln“ bringt gezielt Waren und sichert (vielleicht) Mehrheitenpunkte auf den Inseln. „Liefern“ bringt die dicken Auftragspunkte und vielleicht Mehrheitenpunkte bei den Städten und „Entdecken“ bringt Rohstoffe im Überfluss, aber erst am Ende der Runde. Diese kann man erst in der nächsten Runde gewinnbringend einsetzen (was die Aktion „Beladen“ wieder interessant macht, weil die vor dem „Liefern“ stattfindet). Und mit den richtigen Zielkarten kann man zuletzt nochmal richtig viele Punkte machen und die Konkurrenz überraschen.
Der Glücksfaktor im Spiel ist vorhanden. Welche 1x-Karten bekomme ich, welche Inselplättchen decke ich auf, wie verteilen sich die Zielkarten auf die drei Kartenstapel, die ich über die Rahmenmarker erhalte. Dem rein strategischen Spieler vielleicht eine Spur zu viel, allen anderen Spielern ist es genau der Faktor, der das Spiel so spielenswert macht.
Spannend bis zuletzt und taktisch ein Leckerbissen. Eine absolute Kaufempfehlung für den Osterhasen. Für fortgeschrittene Spieler, erfahrene Familien und natürlich Expertenspieler eine absolute Empfehlung, Es reiht sich in die großen Spiele von Hans im Glück mühelos ein, auch wenn „Marco Polo“ und „Russian Railroad“ die Hürde sehr hoch gelegt haben.
„Race to the New Found Land“ muss sich nicht verstecken, sondern entspricht dem hohen Anspruch, den der Verlag an Kennerspielen hat. Dieses Spiel wird ein Erfolg und mich würde es nicht wundern, wenn die ein oder andere Auszeichnung folgt. Ich freue mich auf jede weitere Partie, denn langweilig wird es sicher nicht so schnell (und irgendwann werden wir da sicher eine Erweiterung sehen).
+ Material und Grafik
+ keine Wartezeit, flottes Spiel
+ perfekt ausbalanciert
+ kurze Spielzeit für fordernde Spieltiefe
+ (wieder eine) sehr verständliche Spielregel
(eine Rezension von Gerhard Hany)
Die folgende Bewertung erfolgt innerhalb der Kategorie:
“Expertenspiel”
Race to the New Found Land (2018)
Autor: Martin Kallenborn und Jochen Scherer
Grafik: Alexander Jung
Verlag: Hans im Glück Verlag
Spieleranzahl: 2-4 Spieler
Altersempfehlung Verlag: Ab 10 Jahren
Eigene Einschätzung: ab 10 mit Spielerfahrung möglich, besser ab 12
Spieldauer: 60-90 Minuten
Generationentauglich: sehr tauglich, Material und Grafik sehr gut, Spielablauf moderat komplex
Punkte: 5 von 5 für fortgeschrittene Spieler
Warenwirtschaft trifft auf Wettlauf, perfekt balanciert und mit erfrischenden Ideen – was für ein Leckerbissen in der Klasse moderat komplexes Fortgeschrittenenspiel.
Keine Wertung in ü75 – da nicht de Zielgruppe (höchstens mit sehr viel Spielerfahrung, dann 4 Punkte)