„Terramara“ von Virginio Gigli, Flaminia Brasini, Stefano Lupetto und Antonio Tinto, Grafik von Michael Menzel, 2-4 Spieler ab 12, 120 min, 2019, Quined Games ist ein Kennerspiel mit vielen Möglichkeiten und (zu viel) Interaktion.
Wenn sich erfolgreiche italienische Spieledesigner zusammensetzen, um gemeinsam ein Spiel zu erfinden, sollte man als Kennerspieler eigentlich sofort und blind zuschlagen. Das kann ja nur gut sein. Und mit Quined Games auch noch ein Verlag, der für qualitativ hochwertige Ausführung steht. Da gehen die Erwartungen hoch. Kann das Spiel die vielen Vorschusslorbeeren rechtfertigen? Oder gar übertreffen?
Uns verschlägt es ins Jahr 1500 v. Chr., und nach Norditalien, das damals noch weit von der schrecklichen Corona-Katastrophe entfernt war. Pfahlbauten bestimmten den Baustil, die Menschen hier waren Händler und ihre Geschäfte führten sie von den Alpen bis zu Po-Ebene. Wir sind Häuptling eines Stammes und versuchen, mehr Siegpunkte zu machen als die anderen Stämme. Dafür müssen wir neue Gebiete entdecken, unsere Kampfkraft verbessern und nützliche Artefakte erforschen.
Zuerst einmal: Wow! Eine große Auswahl an Möglichkeiten scheint uns zuerst einmal zu erschlagen. Wo fange ich an, wohin will ich eigentlich, welchen Weg schlage ich ein und wie komme ich zu mehr Siegpunkten als die anderen Mitspieler?
Es ist ein Arbeiter-Einsetz-Spiel. Über fünf Runden setze ich abwechselnd mit den anderen Spielern einen Kundschafter oder meinen Häuptling in mein Heimatgebiet, ein neues Territorium, auf die Straße, ein Sonderfeld oder meine Hütte ein. Raffiniert ist dabei, dass manche Felder zwei Kundschafter zulassen, aber mit einem Häuptling blockiert man das zweite Feld für die Mitspieler. Noch etwas ist tricky. Es gibt fünf neue Gebiete, die zwar für Kundschafter erreichbar sind, aber am Ende kehren nur die zurück und sind wieder einsetzbar, die auf Gebieten eingesetzt wurden, die bereits freigespielt sind. Und das in in jeder Runde immer nur ein weiteres Gebiet. Man kann sich also gute Aktionen von späteren Gebieten holen, verliert aber damit einen Kundschafter für die nächsten Runden.
Zu einem fremden Kundschafter darf man sich dazustellen, wenn man mehr militärische Stärke als dieser Spieler hat. Das macht die Militärleiste sehr wichtig, denn dadurch werden die Aktionsmöglichkeiten deutlich mehr.
Und was machen unsere Kundschafter so den ganzen Tag? Zum einen generieren sie Rohstoffe, oder verarbeiten sie, oder wandeln sie in Siegpunkte um. Das kennt man ja zur Genüge. Aktionsfelder zum Verbessern der eigenen Fähigkeiten sind auch üblich. Artefakte bauen, die einem Vorteile bringen – bekannt. Auf Raubzug gehen und die lieben Mitspieler ausplündern – fies aber nichts Neues. Seine Marktkarren weiter vorrücken – auch klar.
So werden nach jeder Runde jeweils zwei Geländeplättchen umgedreht und präsentieren ganz andere Aktionsfelder. Jetzt meist Möglichkeiten, am Spielende Punkte zu generieren. Auch der Fortschritt auf dem Fluss ist wichtig, denn dadurch werden mehr Artefakte freigeschaltet. Die Verzahnung der einzelnen Möglichkeiten ist fein ausbalanciert, eröffnet viele Kombinationen und es bieten sich von Zug zu Zug mehr Gelegenheiten. Alles elegant zugeschliffen ohne viele Ecken oder Kanten. Es spielt sich sehr klar, keine tückischen Kleinigkeiten, die den Spielfluss stören.
Nur das Durchdenken all dieser Möglichkeiten hält auf und kann für die Mitspieler zur Geduldsprobe werden. Andererseits ist es genau das, was Kennerspieler an ihren Spielen lieben. Die vielen verschiedenen Wege, die erkundet werden wollen. Die unterschiedlichen Strategien, die entdeckt und zugefeilt werden wollen. Dieses Spiel bietet sehr viel davon. Manchmal zuviel.
Was noch dazu kommt. Der Spielplan mit den Geländeplättchen wird jedesmal neu zusammengestellt. Auch Belonungsplättchen werden jedes Spiel neu verteilt. Soviel Varianz in einem eh schon üppigen Spiel – wow! Das muss oft auf den Tisch, bis man wirklich jeden Weg einmal probiert hat.
Und noch was richtig Tolles. Jeder hat natürlich seine Spezialfähigkeit, die ihn von den anderen Spielern unterscheidet. Und jetzt kommt das Geniale. Zuerst startet man als Kind mit bestimmten Fähigkeiten. Irgendwann beschließt man, alt genug zu sein, und man wendet seine Karte und hat plötzlich ganz andere Fähigkeiten. Das ist so einfach und doch so stark gemacht. So erlebt man das Spiel richtig als Geschichte. Man altert, man entdeckt die Landschaft, man bewegt sich mit den Karren und auf dem Fluss weiter. Das ist alles so stimmig in dieses Spiel eingebaut, dass es einem richtig mitnimmt und hineinzieht.
Dass es bis zuletzt spannend bleibt ist ein weiterer Punkt. Zuletzt gibt es noch einmal eine Handvoll Punkte, die über Sieg und Niederlage entscheiden können. Nur wer zu früh zu weit zurückfällt, kann aus der letzten Runde auch kein Kapital mehr schlagen. Das ist schade, denn man weiß bereits da, dass jedes Bemühen aussichtslos wird.
Das Material ist hochwertig und die gesamte Gestaltung ist extrem spieleinladend. Leider aber auch zu verspielt. Da wurde zu viel auf stimmungsvolle Grafik gesetzt, statt etwas mehr Struktur und Klarheit reinzubringen. Hier hätte ich mir von der Grafik mehr Spielunterstützung gewünscht. So ist es oftmals chaotisch und manchmal übersieht man Möglichkeiten einfach nur, weil man sie tatsächlich nicht sieht. Leider sind auch die Icons auf den Karten zu klein, manchmal wäre Klarheit einer wunderschönen Grafik vorzuziehen.
Noch ein Problem hat das Spiel. Und das kann das Spiel verderben. Es ist sehr kampfbetont. Ich kann zum einen mit einem besseren Kampfwert mehr Felder besetzen und zum anderen kann ich meine Mitspieler überfallen und ihnen Rohstoffe klauen. Das ist heftig. Rohstoffe zu sammeln, um seine Strategie umzusetzen, ist aufwändig. Und dann kann sie der Mitspieler relativ einfach klauen. Das ist meiner Meinung nach zu heftig und unausbalanciert. Irgendwie werde ich damit gezwungen, meine Kampfstärke auch zu erhöhen. Damit geht zuviel vom Spiel verloren, wenn ich zuviele Aktionen dafür aufwenden muss. Wer diese direkte Konfrontation will, dem kommt das System entgegen, wer gern friedvoll die vielen Strategiemöglichkeiten probieren will, scheitert an aggressiven Spielernaturen. Und bei sovielen Möglichkeiten ist der Rüstungswettlauf einfach nur Verschwendung.
FAZIT
Terramara ist ein Hingucker, ein optisches Fest. Was aber leider nicht zur Spielbarkeit beiträgt. Terramara ist eine Herausforderung, ein Kennerspieler-Fest. Soviele Möglichkeiten, soviele fein und solide ineinander verzahnte Gelegenheiten, soviele Strategien, die zum Sieg führen können. Und dabei entwickelt sich das Spiel. Gelände verändert sich und die damit verbundenen Aktionsmöglichkeiten, mein Charakter altert und damit ändern sich auch die Spezialfähigkeiten. Das ist Stimmung und lässt das Spiel lebendig werden. Man ist im Spiel und vergisst, dass eine Partie auch mal drei Stunden und mehr dauern kann. Aber jede Minute lohnt sich.
Für mich eine spielerische Herausforderung im positivsten Sinn. Unbedingt anspielen, oder gleich blind kaufen – außer man ist eine sehr friedvolle Spielernatur. Gelegenheitsspieler werden überwältigt und überfordert von den Möglichkeiten und sollten sich mit anderen Spielen erst einmal an dieses Kennerniveau heranarbeiten. Zu zweit hat es Schwächen, zu dritt oder viert aber richtig gut.
BEWERTUNG
+ Komplex mit viel Spieltiefe
+ Spannungsbogen über das ganze Spiel hinweg
+ Spiel entwickelt sich
+ einfache Spielzüge mit viel Grübelfaktor
+ sehr hoher Wiederspielwert
+/- tolle aber wenig spielunterstützende Grafik
– militärische Stärke zu übermächtig
– wer abgehängt wird kann kaum noch aufholen
(Eine Rezension von Gerhard Hany)
Wichtige Informationen zu unseren Rezensionen (KLICK)
Die folgende Bewertung erfolgt innerhalb der Kategorie:
“Kenner-Spiel”
Terramara
Autor: Virginio Gigli, Flaminia Brasini, Stefano Lupetto und Antonio Tinto
Grafik: Michael Menzel
Verlag: Quined Games
Spieleranzahl: 2 Spieler
Altersempfehlung Verlag: Ab 12 Jahren
Spieldauer: 120 min
Generationentauglich: wenig tauglich, wenig Klarheit und zu kleine und schwer unterscheidbare Symbole