Hanse für die Tasche – Novgorod von OSTIA Spiele (Rezension)

Novgorod | Kartenspiel | ab 10 Jahren | 2 bis 4 Spielende | Stefan Risthaus | OSTIA Spiele

„Novgorod“ – bereits die bloße Erwähnung des Städtenamens schickt mich in die 90er Jahre zurück – mit Simulationen wie „Die Hanse“ oder „Patrizier“ verbrachte ich damals viel Lebenszeit vor dem Bildschirm. „Dorfromantik“ macht es vor: Was als PC-Spiel funktioniert, könnte auch als Umsetzung für den Tisch Freude bereiten. Ist das so? Der Städtebund der Hanse wird zwar immer mal wieder thematisch aufgearbeitet, ist jedoch eher selten unter den Neuerscheinungen der letzten Jahre vertreten. Wie sich das dann noch als reines Kartenspiel spielt? Nehmen wir doch die nächste Kogge und probieren es aus …

Das Spielmaterial besteht vollständig aus Karten.
Herzlich Willkommen in der Hanse – sieht doch einfach aus, oder etwa nicht?

 

Das Spiel
Novgorod
ist ein Kartenspiel für Kenner von Stefan Risthaus und bei OSTIA Spiele erschienen. Es ist für 2-4 Spielende geeignet und kann ab 10 Jahren gespielt werden.

Die Schachtel ist ziemlich klein und verspricht doch viel Spiel. Die Illustration von Fiore GmbH sind sehr passend und sind wie ebenso wie das Thema recht unverbraucht. Der Reiz und das Spielgefühl eines Spiels mit „Hanse-Thema“ stellt sich bei mir schnell ein. Beim Öffnen der Schachtel überrascht mich, das mir lediglich Karten entgegenfallen. Zusätzlich findet sich noch die Spielanleitung in englischer und deutscher Sprache. Es gibt keine Münzmarker oder Schiffsmarker – Alles und damit meine ich Alles bis auf die Spielanleitung wird in „Novgorod“ durch Karten abgebildet.

Es gibt viele verschiedene Karten: Kontore der 8 Städte, Basis-Kontore der Städte, Manufakturen, Aufträge, Karriereleitern, Spielerhilfen, Geld- und Siegelkarten und zu guter Letzt noch Schiffskarten, die meine Reichweite darstellen. Da sich alle farblich recht wenig voneinander abheben und zum Teil Informationen auf der Vorder- UND der Rückseite tragen, benötigt es doch eine Weile, bis das anfangs so klein wirkende Kartenspiel sich zur wahren Größe entfaltet.

Die verschiedenen Kartenarten im Überblick - ganz schön viele!
Der Auf- und Abbau des Spiels benötigt etwas Zeit bei all den verschiedenen Kartentypen.

 

Das Spiel ist im Grundgedanken simpel: Wir nehmen auf unserer Reise mit unserer Kogge Waren aus unseren Kontoren an Bord und verarbeiten diese zu Luxusgütern weiter oder nutzen sie, um damit Aufträge zu erfüllen oder die Karriereleiter empor zu klettern. Sollten wir so gar nichts damit anzufangen wissen, so werden sie in einer späteren Phase des eigenen Zuges einfach verkauft und bringen immerhin noch Dukaten ein. Der absolut nachvollziehbare Haken: meine Reise ist anfangs auf zwei bis maximale 3 Hafenstädte begrenzt und muss der Lage der Städte zueinander entsprechen – von Lübeck gelange ich weder direkt nach Novgorod noch nach London und in jeder der Städte gibt es immer nur 1 Ware. Erschwerend kommt hinzu, dass ich in jeder der Städte nur genau 1 Sache erledigen kann – entweder ich nutze die Ware, oder ich „besuche“ und verwende die ausliegende und der Stadt zugeordnete Manufaktur.

Beispiel für eine Segel- und anschließend Produktionskette in Spiel.
Unsere Kogge ist bereits 5 Kontore (=Städte) weit gereist und hat bereits Waren verkauft (umgedrehte Karten) mit der aus Lübeck verbliebenen Ware lässt sich in der Manufaktur in Visby ein Luxusgut (hier im Beispiel Fisch) herstellen.

 

Die Ware oder das in der Manufaktur produzierte Luxusgut wiederum benutze ich zum Verkauf und zum Erfüllen von Aufträgen oder um auf der Karriereleiter empor zu klettern. Das erworbene Geld investiere ich dabei kräftig um meine Reichweite zu erhöhen oder neue Kontore in Städten zu erwerben, in denen ich noch nicht präsent bin. So spielen wir Runde um Runde und verschiffen Waren, bis eine Person die Marke von 30 Siegeln knackt und das Spielende einläutet – das dauert im Durchschnitt 45 – 60 Minuten.

Beispielhafte Darstellung von Karten mit Dukaten und Karten mit Siegpunkten
Gewöhnungsbedürftige Darstellung und Zählweise von Dukaten und Siegel (=Siegpunkte) – hier im Bild 13 Dukaten und 6 Siegel

 

Die verwendeten Symbole auf den Karten sind ausreichend groß und gut erkennbar. Deren Bedeutung erschließt sich innerhalb der ersten Partie. Der verwendete Grafikstil wirkt unverbraucht und thematisch sehr gut abgestimmt. Selten halte ich (zu)viele Karten auf der Hand: Aufträge darf ich in der Regel 3 verdeckt haben, Kontore werde erst im Laufe des Spiels wirklich viele und da ich jede Stadt lediglich einmal in Form eines Kontors haben kann, ist hier bei 8 Schluss.

Allerdings sind das nicht allein die Kriterien, die für das gelungene Spiel von Jung und Alt berücksichtigt werden. Die Darstellung des Geldes sowie der Siegel und damit Siegpunkte ist doch sehr gewöhnungsbedürftig. Da ich hier teilweise halbe oder ganze Karten oder deren Rückseiten verwende um in geeigneter Stückelung jeden Wert anzeigen zu können, bin ich immer wieder gefordert um die Karten so zu legen, dass es meinem Wert entspricht. Das bremst den Spielfluss etwas und sorgte in den Testpartien trotz Spielerfahrung hin und wieder für Verwirrung. Ressourcen in Form von Münzen und Siegelplättchen würden das Spiel vermutlich auch haptisch etwas aufwerten, allerdings gehen damit auch die Vorzüge eines reinen Kartenspiels verloren.

Zwei Kartentypen aus der Nähe: Aufträge belohnen für Waren oder Luxusgüter. Die Karriereleiter erlaubt ein nicht verdecktes Privileg einmal im eigenen Zug zu nutzen.
Links 2 Aufträge, ein verdeckter, ein offener. Rechts die Karriereleiter die wir Schritt für Schritt mit der Spielerhilfe von unten nach oben abdecken und somit aufsteigen.

 

Fazit

Der Vorstellungstext, das Thema – alles klingt sehr nach dem Aufbau eines Wirtschaftsimperiums und vor dem geistigen Auge entsteht ein Spielbrett mit Schiffchen und Statusmarkern und genau hier lässt mich „Novgorod“ ins Leere laufen. Die Darstellung durch Spielkarten ist zwar zweckmäßig, nur irgendwie bleibt ein Gefühl von „Schade, da war mehr drin!“ zurück. Durch die Aktionen und deren Beschreibung in einer eher kleinen Spielanleitung fühlt sich das Spielerlebnis in der ersten Partie wie „durchgehangelt“ an. Während das bei großen Spielen mit komplexem Regelwerk manchmal vorkommt, so überrascht das dann doch bei Spielen vom Format von „Novgorod“. Und auch in Folgepartien wich dieses Gefühl nicht so ganz von meiner Seite.

„Novgorod“ macht aus meiner Sicht nichts falsch – wenn es überhaupt um diese Bewertung ginge – für den langanhaltenden oder generationenübergreifenden Spielspaß ist das jedoch mitunter zu wenig. Daran ändert die Variabilität mit verschiedenen und teilweise asymmetrischen Vorteilen im Spiel ebenso wenig wie die zufällige Zuordnung der Manufakturen zu den einzelnen Städten bei Spielbeginn. Die Elemente Freibeuter und Händler erhöhen den Anspruch geringfügig und verleihen „Novgorod“ dennoch keinen neuen Glanz.

Wenn du ein Spiel mit schöner thematischer Einbindung des Städtebunds der Hanse suchst, wirst bei „Novgorod“ definitiv fündig – denn Umsetzung der Spielmechanik hin oder her, die thematische Darstellung der Hanse ist gut gelungen.

 

 

 

Bewertung / Test
+ Endlich wieder Hanse und Koggen und … ja auch Novgorod, Visby und Riga.
+ Leicht verständliche Ikonographie und stets gut wählbare Optionen.
+ Keine Person wird sofort „abgehängt“ alle Spielenden haben stets die gleichen Optionen an Punkte zu gelangen.
+/- Sehr solitäres Spielgefühl die einzige Interaktion besteht im Wettrennen um Siegelpunkte sowie um Aufträge und Kontore.
– Sämtliche Spielinhalte nur über Karten darzustellen mag reizvoll sein, setzt die Einstiegshürde dafür sehr hoch an.
– Spielanleitung sehr fordernd durch kleine Schrift und zum Teil zu knappe Erklärung der Mechanik, etwas mehr Übersicht ist schöner.

 

(Eine Rezension von Tobias Mallock)

Tobias

 

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Novgorod (2020)

Spielidee: Stefan Risthaus
Grafik: Fiore GmbH
Verlag: OSTIA Spiele
Anzahl der Spielenden: 2 – 4 Personen
Altersempfehlung Verlag: Ab 10 Jahren
Spieldauer: 40 – 50 Minuten

Generationentauglichkeit: Auch wenn es „nur“ Karten sind, so sind der schwere Einstieg und die Anleitung mit kleiner Schrift nicht für das Spiel für Jung und Alt geeignet.