Distilled| Kennerspiel | ab 14 Jahren | 1 bis 5 Spielende | Dave Beck | Giant Roc
„…und wunderbar thematisch!“ passte nicht mehr in die Titelzeile. Aber zunächst erschreckt die Materialfülle. Der grosse Karton von „Distilled“ ist prall gefüllt mit Spielmaterial, das durchdacht untergebracht ist. Ob das opulente Spiel in eure Spielesammlung passen könnte, erfahrt ihr in dieser Rezension.
Das Spiel
Distilled ist ein Kennerspiel von Dave Beck und bei Giant Roc erschienen. Es ist für 1 -5 Spielende geeignet und kann ab 14 Jahren gespielt werden.
Wie man bei dieser Materialfülle zu erwarten ist, erfordert „Distilled“ etwas Einarbeitung. Es ist alles sehr thematisch und schlüssig, sodass man davor keine Angst haben sollte. Zudem ist die Anleitung hervorragend gemacht mit zahlreichen Beispielen, Glossaren zum späteren Nachschlagen und auch mit Hintergrundinformationen. Die Druck- und Papierqualität allein ist schon eine Freude. Ein weiteres Heft simuliert eine erste Partie für vier Spielende, doch kommt man auch ohne dies zurecht.
Alle Spielenden sind im Besitz einer frisch geerbten Destillerie (das eigene Tableau) und suchen sich ihren Vorfahren samt Sonderfähigkeit, Familienrezept und Spezialzutat aus. Der oder die Vorfahre gibt dann auch die Startvoraussetzungen vor: Geld und gegebenfalls auch eine Grundzutat. Auf jeden Fall starten wir mit einem Stahlfass und einer einfachen Flaschenart, um unser Produkt auch verkaufen zu können.
Zentral ist eine Kartenauslage nach mehreren Kategorien. In der untersten Reihe liegen die Grundzutaten, von denen man in einer Runde nur zwei nehmen darf. Für den Brennvorgang braucht es immer Hefe und Wasser, die es in Kartenform bei dieser Auslage zu holen gibt.
Alle weiteren Karten kostet auf jeden Fall Geld, und das ist immer knapp. Da sind die Verbesserungen zur eigenen Destillerie, das können Ausstattungen sein oder Personal, die permanente Möglichkeiten eröffnen. Dann gibt es die besseren Zutaten, da gilt es auf jeden Fall zuzugreifen, damit nach dem Brennen etwas Höherwertiges herauskommt. In der dritten Reihe gibt es dann noch interessante Flaschen und höherwertige Krüge und Fässer. Beide bringen beim Verkaufen Vorteile. Für einige Alkoholika braucht es unbedingt Tonkrüge oder Holzfässer, die gibt es in der Grundauslage immer zu kaufen.
Habe ich nun investiert und alle anderen sind ebenfalls fertig damit, beginnt das Brennen. Aus meinem Vorrat (alles hat seinen festen Platz auf dem Tableau) nehme ich die erwähnten Karten mit Wasser und Hefe und nehme am besten mehrere Karten mit Zucker dazu. Für jede der Zuckerkarten bekomme ich eine Karte ‚Alkohol‚, der ja bei der Vergärung des Zuckers entsteht.
Diesen kleinen Kartenstapel drehe ich nun um und mische. Dann wird die oberste Karte und die unterste Karte entfernt und zurück in den persönlichen Vorrat gelegt. Thematisch ist das der unbrauchbare Vorlauf und der Nachbrand. Die verbliebenen Karten zeigen nun das Ergebnis der Produktion.
Die Verteilung der Zuckerkarten vergleiche ich nun mit meinem Rezeptblatt. Auf jeden Fall kann ich meinen Brand als fuseligen Moonshine oder Wodka verkaufen, ob halt kein Zucker verblieben ist oder doch. Für höherwertige Spirituosen muss ich vorher das Rezept gekauft haben in Form eines Holzwürfelchens. In meinem Beispiel ist nur Wodka herausgekommen, für Soju hätten mindestens zwei Getreidezucker enthalten sein müssen. Das Rezeptblatt zeigt die Siegpunktzahl an und die Münzsymbole addiere ich zu denen auf meinen Karten und bekomme dann meinen Geldertrag.
Für die besseren Spirituosen braucht es einen Tonbehälter oder ein Holzfass. Diese verkaufe ich nach dem Brennen nicht gleich, sondern lagere sie in meinen Kellern ein. Sogleich und in jeder weiteren Runde, in der ich mein Produkt reifen lassen, kommt eine Aromakarte hinzu. Da lohnt sich das Abwarten, aber in den ersten Runden sind die Gelderträge wichtig, um meine Destillerie weiter auszubauen und um gute Zutaten zu besorgen.
Stilecht bekomme ich für meinen hergestellten Schnaps auch ein Etikett. Das regelt zum einen, wie viele einer Art für den Markt hergestellt werden dürfen, und zum anderen kann ich mit dem Setzen auf dem eigenen Tableau interessante Boni generieren. Das kann auch sein, die Spezialzutat meines Vorfahren mit ins Spiel zu nehmen und einmalig nach dem Familienrezept zu brennen. Das bringt besonders viele Punkte.
Die Punkte werden auf dem Spielboard vorgerückt, das ausschaut wie ein Gläserregal. Ein kleines Holzfass zeigt die Runden an. Nach der dritten Runde wird eines der beiden persönlichen Zielkarten aussortiert. Bei den ersten Partien ist es aber noch zu schwierig, dies einzubeziehen. Alle sind zunächst beschäftigt, die Brauvorgänge erfolgreich abzuschließen und die Zusammenhänge im Spiel zu erfassen. Das betrifft ebenso die Auszeichnungen, die in den ersten Partien als zuviel erscheinen.
Nach sieben Runden wird das Verbliebene noch abgerechnet, die Zielkarten ausgewertet und übriges Geld in Siegpunkte verwandelt. Das Einräumen ist wieder so schön wie das Aufbauen: auf drei Etagen hat alles Material seinen sicheren Platz. Es gerät nichts durcheinander, auch wenn man den Karton auf den Kopf dreht.
Fazit
„Distilled“ ist außergewöhnlich. Außergewöhnlich schön, gestalterisch, thematisch wie spielerisch. Bis ins kleinste Detail ist alles mit viel Herzblut und Liebe gemacht. Der Rundenablauf an sich ist einfach: Karten erwerben, Zutaten zusammenstellen, brennen und verkaufen. Doch merkt man sehr schnell, dass es viele Entscheidungen zu treffen gilt und der Weg zu einem guten Ergebnis nicht ganz einfach ist. Es gilt vorzuplanen, die richtigen Vorbereitungen zu treffen und beim Weglegen von Karten beim Brennvorgang kann man auch mal Pech haben. Doch dieses Risiko lässt sich mit Vorplanung minimieren. Doch dafür braucht es Geld, das auch zunächst erwirtschaftet werden will.
Also, man muss sich darauf einlassen. Tut man dies, erhält man langanhaltenden Spielspaß. Die vielen möglichen Vorfahren bringen Varianz, die Vielzahl der Karten wie auch die Auswahl an Rezeptkarten. Für Menschen, die solch komplexe Spiele nicht als Herausforderung lieben, für die wird sich „Distilled“ als anstrengend anfühlen. Zudem ist zu sagen, dass es sich überwiegend solistisch spielt. Das Wegkaufen von Karten und die scharfe Begrenzung der Etiketten generiert einen Wettlauf, aber in der Regel sind alle mit ihrer eignen Firma hinreichend beschäftigt. Einsteiger:innen tun sich schwer bei Mitspielenden mit Erfahrung. „Distilled“ hat eine Lernkurve und ist eher Experten- als Kennerspiel. Ein Solomodus inklusive eigenem Material ist enthalten.
Bewertung / Test
+ gestalterisch und thematisch ein „Hammer“
+ langanhaltende Varianz und Herausforderung
– eher solistisch
(Eine Rezension von Paul Theisen)
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Die folgende Bewertung erfolgt innerhalb der Kategorie:
“Kenner- und Expertenspiele”
Distilled (2022)
Spielidee: Dave Beck
Grafik: Erik Evensen
Verlag: Giant Roc
Anzahl der Spielenden: 1-5
Altersempfehlung Verlag: ab 14 Jahren
Spieldauer: 30 Minuten pro Person, kann aber länger gehen
Generationentauglichkeit: klein gedruckte Texte, sehr komplex. Also eher nein